Im Krieg standen die Vietnamesen einem Feind gegenüber, der besser ausgerüstet und zahlenmäßig überlegen war. Noch dazu setzten die US-Amerikaner Horror-Waffen wie Agent Orange ein. Trotzdem gingen die Vietcong als Sieger aus dem Krieg hervor. Wie ist das nur möglich? Bei einem Besuch der Tunnel von Cu Chi wird schnell klar, wieso die Amerikaner sich geschlagen geben mussten.
„Fällt euch hier irgendetwas auf?“, fragt unser Guide. Und grinst dabei auf eine Art und Weise, dass wir uns die Umgebung ganz genau angucken. Wir sind mitten im Dschungel. Um uns herum schlängeln sich Lianen. Im Gebüsch sitzen melodisch singende, bunte Vögel. Wir können tatsächlich nichts Besonderes entdecken, abgesehen von diesem undurchdringlichen Grün.
Als Thú, unser Guide, keine Antwort bekommt, schiebt er ein paar Blätter zur Seite und setzt einen Fuß nach vorne. Wie eine Wippe senkt sich der grasige Boden unter seinem Fuß ab, auf der anderen Seite geht er in die Höhe. Im Boden sind dünne, spitze Metallpfähle verankert. Es ist eine unsichtbare und umso tödlichere Falle, die sich hier vor uns auftut. Da diese Klapptür mit Blättern getarnt war, ist uns der Rand im Boden nicht aufgefallen. Ganz alleine wären wir wohl alle arglos in die Falle marschiert.
Die Tunnelgrabungen begannen in den Vierzigern, im Krieg gegen Frankreich. „Die unterirdischen Tunnel im Dschungel sollten Waffen, Vorräte und Menschen schützen “, erklärt Thú. In den Sechzigern dehnten die Vietcong das System aus, bis es sich schließlich über 200 Kilometer und drei Ebenen erstreckte: ein riesiges, gewundenes Labyrinth, in dem die Guerilla-Kämpfer ihren Widerstand organisierten. Draußen verzweifelten die Menschen an Bombeneinschlägen und Agent Orange – unter der Erde lebte die Hoffnung weiter. Und zwar in engen Gängen in unerträglicher Hitze und der Gewissheit, dass ein paar Meter weiter der Feind lauert.
Wir befinden uns in der Nähe des Dorfes Ben Dinh. Hier wurde ein Teil der Tunnel verbreitert, damit sie für Touristen zugänglich sind. Die Stimmung ist gut. Thú war vorhin offensichtlich erfreut darüber, dass niemand die Falle entdeckt hatte. Er spricht mit einem gewissen Stolz in der Stimme von dem ausgeklügeltem System: „In den Tunneln entstand eine eigene Stadt mit Schulen, Lazaretten, Büros und Schlafräumen. Die Gebäude waren durch Tunnel verbunden. Man erreichte sie über Einstiegslöcher oder solche Klapptüren, die damals mit Bambusspießen - und nicht mit Metallpfählen - gesichert waren.“
Ein Großteil der Touristen wirkt eher erstaunt über den Umfang der Tunnel als bestürzt über die Gründe, wieso es sie überhaupt gegeben hatte. Diese gelöste Atmosphäre steht im krassen Gegensatz zu der Spannung, die hier während dem Krieg herrschte. Es ist ein wenig befremdlich.
Wir sollen nun hautnah erleben, wieso die Vietcong so aus dem Hinterhalt angreifen konnten – und nehmen die Anlage sowohl aus Sicht der Amerikaner als auch der Vietcong wahr. Zuerst zeigt ein Mitarbeiter der Anlage, wieso die US-Soldaten es so schwer hatten: In einem Moment winkt er uns fröhlich aus einem Tunneleingang zu, im nächsten ist er verschwunden. Wir können nicht mal erahnen, welche Abzweigung er in dem verwinkelten Labyrinth unter der Erde genommen hat. Nur wenige Momente später taucht sein Kopf aus einem Tunneleingang hinter uns auf, der als Ameisenhügel getarnt war.
Dann steigen wir selbst in das Labyrinth herab: Im unterirdischen Museum kriechen wir vorbei an ausgestatteten Räumen und nachgestellten Situationen. In der Kommandozentrale zum Beispiel sitzen lebensgroße Puppen über Landkarten.
Die drei Tunnelebenen hatten verschiedene Funktionen: Die oberste diente hauptsächlich der Fortbewegung der Soldaten im Einsatz. Die zweite war Unterschlupf für Kinder, Ältere und Verletzte. In der untersten Ebene waren Krankenhäuser untergebracht.
Schließlich entdeckten die Amerikaner die Tunneleingänge. Und verstanden, warum sie so oft gegen einen unsichtbaren Feind kämpften. Sie versuchten, das System zu zerstören – aber nicht mit Erfolg: Sie fluteteten die Tunnel, leiteten Gas in die Gänge, bombardierten sie und schickten sogenannte „Tunnelratten“ in die Gänge, also Spezialeinheiten. Die Vietcong reagierten dementsprechend. „Sie hatten eine Art Siphon in das System miteingebaut, sodass Gas und Wasser wenig Wirkung hatten“, erklärt Thú. Die Vietcong präparierten Tunneleingänge mit Fallen oder führten die Soldaten mit falschen Eingängen in die Irre, in denen die Amerikaner nur den Tod fanden.
Die Tunnel waren mit einer der Gründe, wieso die Tet-Offensive 1968 gelang: „Der Angriff kam so überraschend und unvorbereitet für die Amerikaner, dass die Vietcong die amerikanische Botschaft in Saigon besetzen konnten.“
Dies stellte ein Wendepunkt im Krieg dar – denn er war nicht so bald vorbei, wie die Soldaten hofften. Das verstanden auch die Menschen im Heimatland. Ihnen war vorgekaukelt worden, der Krieg wäre schon fast gewonnen. Nach der Tet-Offensive verstanden die US-Bürger, dass das nicht der Wahrheit entsprach: die Anti-Kriegs-Bewegung in den USA wurde ab da immer stärker, was zum Abzug der US-amerikanischen Truppen beitrug.
Unser Besuch neigt sich dem Ende zu. Eine Sache soll noch kommen: Die Möglichkeit, am Schießstand Waffen aus dem Vietnam-Krieg selbst auszuprobieren. War der Besuch bisher schon befremdlich, wird es nun richtig absurd. Besonders, als ein paar die Gelegenheit wahrnehmen und kurz darauf Schüsse durch die Luft knallen.
Natürlich ist es auch Kriegstourismus, selbst durch die Tunnel zu kriechen. Man kann darüber streiten, inwieweit das angemessen ist. Trotzdem ist es nicht verkehrt, mehr über den Krieg und seinen Verlauf wissen zu wollen. Und es wirkt sinnvoller, mehr über Guerilla-Taktik zu lernen, wie am Schauplatz des Geschehens in der Gegend rumzuknallen. Lehrreich ist ein Besuch der Tunnel von Cu Chi auf jeden Fall. Das Schießen danach lässt man einfach.