Melbourne ist eine Stadt mit tausend Gesichtern: Unter der heißen australischen Sonne stehen prachtvolle Bauten aus der Zeit des Goldrausches neben düsteren, neugothischen Kirchen. Auch die weitläufigen Parks machen das Stadtbild lebendig – genau wie das Aquarium, das mit seinen Haien, Schlangen und Krokodilen perfekt auf Australien einstimmt.
Ich komme an einem trüben Nachmittag in Melbourne an, nach einem Neunstundenflug
von Bangkok. Umso mehr freut es mich, dass die Busfahrt ins Zentrum schnell und günstig ist. Ich spreche einen Taxifahrer an und frage, was die Fahrt
zum Hostel kosten würde. „Also, am
günstigsten wäre es mit der Straßenbahn, weil die ist ja kostenlos.“ So viel selbstlose Ehrlichkeit ist nicht selbstverständlich –
ich fühle mich direkt wohl.
Tatsächlich sind viele Straßenbahnen im Stadtzentrum gratis. Nach einer kurzen Fahrt komme ich im Hostel auf der Flinders Street an. Rund um die Straße liegen viele Sehenswürdigkeiten: das Rathaus, die Kirche St. Pauls, der Bahnhof, das Sea-Life-Aquarium und die
Fitzroy Gardens. Am Morgen nach meiner Ankunft laufe ich bei schönstem Wetter über die Collins Street Richtung Park. Nachmittags möchte ich dem Aquarium einen Besuch
abstatten.
Während dem Spaziergang beginne ich, Melbourne immer mehr zu mögen. Es ist erstmal
überraschend, am anderen Ende der Welt britische Kirchen zu sehen. Vor allem, weil das Wetter ihre Wirkung komplett
verändert: In England sieht man vergleichbare Kirchen meist bei wolkenverhangenem Himmel und Nieselregen, vielleicht neben einer tiefschwarzen Themse. Hier ragen die neugotischen Türme in einen
strahlend blauen Himmel voller Schleierwolken –
was sie direkt weniger düster wirken
lässt.
Immer fröhlich wirken
die prunkvollen viktorianischen Gebäude, von denen
viele aus der Zeit des Goldrausches im 19. Jahrhundert stammen. Auch der Bahnhof im Neorenaissance-Stil ist ein echter
Hingucker. Hinter den Gebäuden aus einer anderen Zeit heben sich moderne
Wolkenkratzer ab. Ein schön gemischtes Bild, das von den historischen Straßenbahnen, die sich bimmelnd durch die Stadt arbeiten, noch abgerundet wird.
Es ist ein kurzer Spaziergang zu den Fitzroy Gardens. Die Parkanlage wirkt
genauso gepflegt und ordentlich wie der Rest der Innenstadt. Der samtig grüne Rasen, die Palmen und die hohen Pinien machen den Park zu einer grünen Oase inmitten der Stadt. Neben der Vegetation
draußen gibt es auch ein schönes Gewächshaus voller bunter Pflanzen.
Mitten im Park werde ich im Cook's Cottage ins 18. Jahrhundert zurückversetzt. Das efeuumrankte Backsteinhaus gehörte einmal den
Eltern von Kapitän James Cook. Im Inneren ist eine Ausstellung, die zeigt, wie das Leben in einem Cottage aussah und über Cook und seine abenteuerlichen Seefahrten informiert.
Cook sollte für die britische Krone neue Handelsrouten finden und Land erobern. 1770 erreicht er die Ostküste Australiens und entdeckt, dass es sich um einen Inselkontinent handelt. Er kartographiert die Umgebung und gilt daher heute als Entdecker Australiens.
Ich laufe zu St. Patrick's, eine der beeindruckendsten neugotischen Kirchen in Australien.
Wie ein geheimnisumwobenes Schloss baut sie sich mit ihren Türmen und Erkern vor mir auf.
Es ist mittlerweile um die 30 Grad heiß. Wieder schafft es die Sonne, die düstere Wirkung der Kirche abzuschwächen –
und trotzdem hinterlässt ihr Äußeres einen imposanten Eindruck. Besonders, weil ich noch die bunten Paläste in Bangkok
vor Augen habe, die wie eine Diamantenhöhle in allen Farben glitzerten. Der Kontrast zu dieser Kirche –
ein Spiegel der dunklen, christlichen Märtyrergeschichte –
könnte nicht größer sein. Sie erinnert aber nicht nur an den Leidensweg Christi, sondern auch an mittelalterliche Sagen und die Ritter der Tafelrunde.
Das nächste architektonische
Meisterwerk wartet um die Ecke: Das Parlament von Victoria macht mit seiner klassischen Kolonnade und den vielen detailreichen Verzierungen einen besonders erhabenen Eindruck.
Nachdem ich beide Bauwerke bewundert habe, steige ich in eine Straßenbahn Richtung Innenstadt. Nächster Stopp: Aquarium.
Bei allen Angeboten mit Tieren bin ich immer hin- und hergerissen – schließlich siegt aber
die Neugier. Es scheint einfach eine zu gute Möglichkeit zu sein, sich über die Tierwelt Australiens zu informieren.
Auch, wenn die Kritik an Sea Life berechtigt ist – vor allem, was die Orca- und Delfinshows angeht – man muss dem Unternehmen auch zugestehen, dass es viel Geld in Naturschutz investiert und so manches Kind sich
eher mit dem Thema beschäftigt, wenn es Tiere tatsächlich einmal live gesehen hat. Im SeaLife in Melbourne gibt es weder Delfine noch Orcas, aber viele verschiedene Themenbereiche voller
australischer Tiere.
Ich laufe vorbei an rosa Seesternen, die Arm in Arm in ihren Becken liegen, Muränen mit weit aufgerissenen Mäulern, Clownfischen, die geschäftig in Anemonen hin-
und herhuschen, und Seepferchen, die gemütlich im Seegras schweben. Paradiesisch bunte Fische mit faszinierenden Flossenformen bringen das trübe, dunkle Wasser zum Leuchten.
Fast denke ich, ich wäre selbst unter Wasser – ein Gefühl, das noch verstärkt wird, als ich einen langen, schwach erhellten Tunnel durchquere. Neben, über und unter mir schwimmen die verschiedensten Tiere. Ich werde von riesigen Rochen begleitet, die flügelschlagend durch das Wasser gleiten und mir zuzugrinsen scheinen. Auch Haie sehe ich: Sie ziehen gemächlich an den anderen Tieren vorbei oder wirbeln mit ihren gezackten Schwänzen den Sand des Aquariums auf.
Im nächsten Abschnitt liegt ein riesiges Salzwasserkrokodil hinter Glas. Es ist so reglos,
dass man sich unwilkürlich fragt, ob es nicht eine Attrappe ist. Dieser Gedanke verfliegt, als die schuppige Echse sich gemächlich aufrichtet und sich langsam auf seinen winzigen Händen
fortbewegt. Es wirkt, als beobachte man eine verlangsamte Videoaufnahme.
Ein Pfleger erzählt mehr über die Geschichte von „Pinjarra
“. Er sei berühmt dafür, dass er Dutzende Kühe riss und immer wieder der Erschießung durch die wütenden
Bauern entging. „Er hat außerdem panische Angst vor Kürbissen, was wir an Halloween feststellen mussten.“
Passend zu diesem Feiertag verwandelte es sich in ein rasendes Ungeheuer, als die Pfleger ihm ein paar Kürbisse ins Terrarium geben wollten –
und versetzte so alle in Angst und Schrecken. Der Pfleger versichert den Besuchern außerdem,
dass Krokodile in Australien gefährlicher für den Menschen sind als Haie: „Wenn euch hier etwas angreift, dann wohl eher eine Riesenechse als ein Hai.“
Nach diesen beruhigenden Informationen gehe ich weiter in den letzten Abschnitt des Aquariums: Die Nachbildung eines Regenwaldes. In der feuchtwarmen Luft warten dunkelgrünen Lurche, giftgrüne Frösche und Schlangen. Sie sind teilweilse kaum von den Blättern und Ästen zu unterscheiden, auf denen sie es sich bequem gemacht haben.
Nach dem Besuch des Aquariums geht es so langsam zurück Richtung Hostel. Ich habe für
Melbourne nur einen Tag eingeplant. Schade, denn die bunte Stadt und alles, was ich hier gesehen habe, hat mir sehr gut gefallen.
Aber schon am nächsten Tag breche ich auf zur Great Ocean Road –
angeblich die schönste Küstenstraße der Welt. Bei diesen Aussichten fällt mir der Abschied dann
doch nicht so schwer.
Wird die Straße ihrem Titel gerecht? Meine Erlebnisse auf der Great Ocean Road gibt es hier zum Nachlesen.