Das Great Barrier Reef ist das größte Korallenriff der Welt, und damit eine der Hauptattraktionen Australiens.
Der Tourismus ist Segen und Fluch zugleich für das kranke Riff: Boote und Menschenmassen stressen das ganze System, tragen aber gleichzeitig auch zu seiner Regeneration bei.
Ich reise von Alice Springs über Sydney in den Norden Australiens. In Sydney prasselt den ganzen Tag der Regen aus einer grauen Wolkendecke. Die Oper verschwimmt in Regenmassen. Nach der Woche im
heißen, staubtrockenen Outback könnte der
Kontrast nicht größer sein.
In Cairns fällt stetiger Nieselregen – aber auf eine unaufdringliche, beinahe unsichtbare Art. Der Regen ist einfach da, fügt sich beiläufig in die grüne Landschaft ein. Das Plätschern des
Wassers ist ein permanentes, stetiges Hintergrundgeräusch. Willkommen im Regenwald.
Im Hostel hängen Bilder von giftgrünen Fröschen, die sich unter einem dichten Blätterdach vor dem Regen schützen. Ich bin allerdings nicht deshalb hergekommen – sondern wegen der Unterwasserwelt, mit ihren bunten Wäldern aus Korallen und wiegenden Seegräsern. Cairns ist eine wichtige Anlaufstelle für Tagestouren ans Great Barrier Reef.
Ich habe nur noch wenige Tage in Australien, bevor es nach Neuseeland geht. Noch vor einigen Wochen stand Cairns buchstäblich unter Wasser: Wirbelstürme und Regenmassen fegten über das Land.
Mittlerweile hat sich die Situation wieder beruhigt – zum Glück: Das Riff möchte ich unbedingt sehen, wenn ich schonmal hier bin. Wer weiß schon sicher, wie lange es noch da ist?
Dem Riff geht es schlecht –
und eine Besserung ist nicht in Sicht: Ende August 2019 stufte Australien die Perspektive des Great Barrier Reefs auf das niedrigste Niveau zurück, von „schlecht“ auf „sehr schlecht“. Mehrere
Faktoren sorgen dafür, dass das Riff immer kränker wird. Einer davon ist die Korallenbleiche: Korallen leben in Symbiose mit sogenannten Zooxanthellen, einer Art Alge. Diese Einzeller haben in etwa
die Funktion einer Niere: Sie filtern giftige Schadstoffe aus der Koralle, außerdem betreiben sie Photosynthese. Sie sind also wichtiger Energielieferant der Koralle und versorgen sie mit Glukose und
anderen Nährstoffen. Wird es zu warm, verlieren die Zooxanthellen die Fähigkeit zur Photosynthese: Die Korallen stoßen sie ab. Da sie aber ohne ihre Partner nicht überleben können, bleichen sie aus.
Wenn sie sich nicht wieder erholen, sterben sie daraufhin –
zurück bleibt das weiße Skelett. Außerdem leidet das Riff unter immer intensiveren Stürmen und der zunehmenden Versauerung der Meere.
Ein Korallenriff ist Heimat unzähliger Tiere und Pflanzen und bietet ihnen Nahrung und Schutz. Stirbt das Riff, verlieren diese ihre Lebensgrundlage.
Der Betreiber des Hostels bucht eine Tagestour für mich, die am nächsten Morgen startet. „Das ist der Beste“, versichert er mir. „Der kennt die schönsten Spots im Riff.“
Voller Vorfreude mache ich mich am nächsten Morgen auf dem Weg zum Hafen. Ich ahne nichts Böses, habe die Delfintour in Adelaide im Kopf, die mir wegen der kleinen Gruppe und der tierfreundlichen Ausrichtung so gut gefallen hat. Als ich im Hafen ankomme, wird mir langsam klar, dass das heute etwas anders wird: Er ist voll von riesigen Booten, auf denen die Logos der örtlichen Touranbieter prangen. Nach kurzer Zeit finde ich den Anbieter, bei dem ich angemeldet bin. Wir nehmen Kurs auf See – wir, das sind die circa 20 Mitarbeiter und 80 Touristen. Mittlerweile bin ich sicher, dass diese Tour nicht meine beste Idee war.
Auf See bekommen wir eine allgemeine Einweisung und Sicherheitstipps („Engländer, habt ihr das gelbe Ding da oben schonmal gesehen? Das ist die Sonne, dagegen muss man sich eincremen“). Danach beginnt ein Meeresbiologe, mehr über das Riff und seine Probleme zu erzählen. Leider kommt die Leidenschaft, die er sicherlich für das Meer empfindet, nicht rüber: Er wiederholt mehrmals, dass er das alles jeden Tag erzählt, und dass wir sowieso das Riff beschädigen werden - egal, wie viel Mühe wir uns geben. „Und ja, der Großteil von euch ist nur hier, um die Anemonen und Nemo zu sehen.“ Irgendwo ist es verständlich, dass er ein wenig unmotiviert wirkt: Die Gruppe ist riesig, kaum die Hälfte hört zu. Trotzdem: Ein bisschen mehr Mühe könnte er sich geben. Es ist schade, wie er seinen Text runterleiert.
Mit einem Punkt hat er aber den Nagel auf den Kopf getroffen. Als wir anhalten, sehen wir mindestens fünf Boote mit einer ähnlichen Masse an Touristen in unserer Nähe. Bei dieser Masse an röhrenden Motorbooten und Menschen voller Sonnencreme, die trotz Verbot immer wieder auf die Korallen treten, bleibt dem Riff keine andere Wahl: Es muss leiden. Der Biologe hat uns von einer Art Schutzsteuer erzählt, die wir alle bezahlt haben. Diese geht direkt in die Arbeit für den Erhalt des Riffs. Vielleicht kommt daher die Frustration des Biologen: Auch wenn seine Arbeit indirekt und im großen Rahmen zum Schutz des Riffs beiträgt, sieht er die direkten, negativen Auswirkungen des Tourismus jeden Tag.
Wir tauchen ein in die Welt des Riffs. Hunderte Arten bunter Fischschwärme ziehen zwischen den Korallen umher. Die Fische sind so an die Menschen gewöhnt,
dass sie nicht mal mehr wegschwimmen, wenn man ihnen nahe kommt. Der Meeresbiologe hat uns von einem Fisch erzählt („Fred“), der manchmal direkt auf die Menschen zuschwimmt, damit sie ihn anfassen - als wolle er gestreichelt
werden.
Gedämpft höre ich das Rupfen und Ratschen, wenn die Fische sich über ihre Nahrung in den Korallen hermachen. Und überall sind Wälder aus Seegräsern, die sich in den
Wellen wiegen. Diese Welt muss einfach überleben.
Vielleicht hat Australien auch diese Idee im Kopf. Wer das Riff direkt sieht, ist danach noch motivierter, es zu beschützen – und nachhaltiger zu handeln. So
paradox es auch ist: Indirekt hilft der Massentourismus dem Riff auch. Ob dieser Nutzen die Schäden und den Stress ausgleicht, ist aber zu bezweifeln.
Trotzdem gibt es natürlich Möglichkeiten, den Tourismus zu optimieren. Und teilweise werden diese auch schon angewandt: An manchen Stellen im Riff ist Sonnencreme
verboten, die giftige Chemikalien für die Korallen enthält. Boote werden mit umweltfreundlicheren und leiseren Motoren ausgestattet.
Aber: Nochmal würde ich nicht auf so eine Massentour mitgehen. Lieber auf einen Katamaran mit kleiner Gruppe, denn diese Touren gibt es natürlich auch. Mir persönlich erscheint das weniger stressig – für Mensch und Riff.