Endlose Steppen und dichter Dschungel – grüner wird’s nicht in den Llanos, den kolumbianischen Feuchtgebieten nahe der venezolanischen Grenze. Ein Besuch zu Pferde bei den Llaneros
erinnert an die unendlichen, heldenhaften Geschichten der Gräsernen Meere.
Während diese Geschichten in der Savanne „nur“ am Lagerfeuer erzählt werden, warten in Leticia im
Amazonasgebiet wahr gewordene Mythen – die Botos
Cowboys, Rinder und Pferde, Pferde, Pferde – die Llanos könnten die Bühne für einen nostalgischen Wild-West-Film sein. Eine meiner Schulfreundinnen fühlt sich hier seit Jahren pudelwohl. Kein
Wunder: Sie begleitet Touristen auf Reittouren über das endlose Land und verbringt ihre Zeit auf Fincas, wo sie in Hängematten unter freiem Himmel schläft. Zwei Wochen lang besuche ich sie und
ihre Freunde, die ausnahmslos alle Cowboys sind. So ist das hier – und ebenso normal ist, dass wir die Finca ihres Freundes per Motorrad über Serpentinen erreichen. Noch ist Regenzeit und immer
wieder werden wir auf dem Bike nass von plötzlichen Schauern.
Auf der Finca picken Hühner und Pferde laufen frei herum. Der Freund meiner Freunden kennt sie, seit sie Fohlen sind – er ist sie eingeritten. Alle paar Stunden besucht uns ein Wasserschwein: Ein
Waisenkind, das die Familie aufgepäppelt und wieder in die Freiheit entlassen hat. Das treue Tier schaut dennoch immer wieder vorbei. Anders als seine Artgenossen – die schnell aggressiv werden
können – lässt sich dieses streicheln, als wäre es ein zahmes Meerschweinchen. Wir essen Arepas: kolumbianischer Maiskuchen, der in viel Öl in einer Pfanne ausgebacken wird. Und wir reiten: Von
der Finca überqueren wir hügelige Wiesen mit Blick auf die Anden und durchqueren Flüsse, deren Ufer von Bananenstauden gesäumt sind.
Das zahme Wasserschwein übte eine gewisse Faszination aus.
Auch zurück geht es mit dem Motorrad. Die zweite Finca fahren wir per Bus an: Holprige Schotterwege führen durch die Savanne und vereinzelte Plantagen. Die Wegbeschreibung hätte präziser sein können: „An der größten Bananenplantage müsst ihr dem Fahrer sagen, dass er euch rauslässt.“ Wir merken, dass wir uns Venezuela immer mehr nähern – und keine Finca ist in Sicht. Also verlassen wir den Bus im Dunkeln und warten auf den entgegenkommenden, der uns dann an der richtigen Plantage herauslässt. Es ist stockfinster in der nächtlichen Savanne; nur die Sterne funkeln über uns in der Weite. „Wenn man Augen in der Dunkelheit glimmen sieht, sind das meist Raubtiere.“ Beruhigend. „Am meisten Angst sollten wir aber vor den Wachhunden haben, die den Hof verteidigen wollen.“ Na dann.
Wir werden nicht wieder von der Finca gejagt. Der Besitzer holt uns ab und wir verbringen den Abend am Lagerfeuer – und hören Geschichten über Trugbilder und Irrlichter, welche durch die Steppe geistern, mit Feuerbällen Reiter verwirren oder mit Lauten in die Savanne locken…
Wir schlafen in der Stille ein. Nachts beginnt es wieder zu regnen. Am nächsten Morgen schlüpfen wir in Gummistiefel und staken durch den schmatzenden Schlamm zu den Pferden. Unser Guide zeigt
uns, wie wir sie wie waschechte Llaneros mit Lassos einfangen können – und dann brechen wir auf in die Gräsernen Meere. Oft haben wir einen der Büffel direkt vor uns. Die Herden verbringen Tag
und Nacht grasend in der Steppe und werden hin und wieder zu Pferde weiter getrieben.
Wieder begleitet uns stetiger, prasselnder Regen. Wir durchqueren mit den Pferden Lagunen und Regenwald, in dem wir eine Schildkröte am Wegesrand sehen.
Abends treiben wir die Pferde auf eine andere Weide. Unter dem sturmzerzausten Himmel galoppieren die Tiere zum Wasser, wo sie ohne Scheu durchschwimmen, um auf die andere Seite zu gelangen.
Nach so viel Cowboy-Romantik brechen wir auf Richtung Amazonas – zu den Botos. Die rosa Delfine sind mit vielen Mythen verknüpft: Die Menschen erzählen flussauf-, flussabwärts, die Tiere seien verzauberte junge Mädchen, die in Unterwasser-Königreichen leben und bei Mondschein ihre wahre Gestalt annehmen.
Wir starten an der brasilianischen Grenze, in Leticia. Von dort fahren mit dem Boot weiter ins Reservat mitten im Dschungel. Ein Dörfchen liegt einen halbstündigen Fußmarsch entfernt, ansonsten gibt es hier bloß Regenwald – mit wendigen Affen, die beim Frühstück vorbeischauen, flatternden Kolibris und Tukanen, die entfernt in den Baumwipfeln schreien. Es ist schwül-heiß, Linderung verschaffen nur die regelmäßigen Regengüsse. Wir spazieren durch den dichten Wald und hören von unserem Guide Geschichten über die spirituelle Welt, in die er sich immer wieder versetzt, und uralte Bäume, die für die Indigenen Macht und Weisheit darstellen.
Abends laufen wir zum Fluss und schippern mit einem Boot raus. Es dauert nicht lange, bis die ersten rosa Leiber auftauchen. Im goldenen Licht der Abendsonne beobachten wir die Tiere, die immer wieder nah ans Boot kommen. Bei so einer Begegnung begreift man, woher die vielen fantastischen Geschichten in dieser Region kommen.