Wohl nur vor Ort kann man wenigstens ansatzweise begreifen, was Nahost-Konflikt wirklich bedeutet. Denn es ist kompliziert – sehr kompliziert, und die aktuelle Lage wird von Geschehnissen beeinflusst, die Jahrtausende zurückliegen. Der Konflikt macht aber auch eine einfache Tatsache sehr deutlich: Religion kann ihre pazifistische Grundlage schnell verlieren, sobald verschiedene Glaubensrichtungen Anspruch auf dasselbe Land erheben.
In der „Heiligen Stadt“ Jerusalem stehen bedeutende Heiligtümer aller drei monotheistischen Weltreligionen: das Grab Jesu, der Felsendom und die Klagemauer.
Der Felsendom ist der Ort, wo der Prophet Mohammed seine Himmelsreise angetreten haben soll. Die Klagemauer sind letzte Überreste des Herodianischen Tempels, Hauptheiligtum der Juden. Außerdem lebte in Jerusalem der bedeutendste König der Juden, David. Unter anderem deshalb sehen sowohl Juden als auch Araber Jerusalem als Hauptstadt an.
Bis in die Dreißiger Jahre lebten überwiegend Araber im historischen Palästina. Dann kamen erste Einwanderungswellen aus Europa nach Israel, als sich die Situation für Juden drastisch verschlechterte. Nach dem Zweiten Weltkrieg kamen die Holocaust-Überlebenden. Sie wollten nach dem Grauen des Holocaust neu anfangen. Einen eigenen Staat gründen, in dem sie sich sicher fühlen könnten. Viele glaubten, mit einem eigenen Nationalstaat könnten Juden endlich international anerkannt werden und der Antisemitismus würde sich verringern. Die Palästinenser wollten die Einwanderer beziehungsweise den jüdischen Staat jedoch nicht akzeptieren.
Damals stand das ehemalige Palästina noch unter britischem Mandat; die Briten waren jedoch überfordert mit der Situation. Sie schlugen eine Zwei-Staaten-Lösung vor, die jedoch keinen Zuspruch fand. Den Palästinensern ging die Einwanderung zu schnell, den Israelis zu langsam. Die Einreise wurde von den Briten teilweise komplett verweigert. Traurige Bekanntheit erreichte das Passagierschiff „Exodus“, mit dem Juden im Jahr 1947 nach Palästina einreisen wollten. Sie wurden nach heftigen Auseinandersetzungen mit den Briten auf drei Schiffe verteilt und zurückgeschickt. Die Holocaust-Überlebenden weigerten sich, an ihrem Ausgangspunkt Frankreich von Bord zu gehen. So wurden sie nach Deutschland gebracht und bei Lübeck in Lager gesperrt.
Es kam immer wieder zu gewalttätigen Ausschreitungen. An der Klagemauer in Jerusalem wurde zum Beispiel eine Trennwand zum Beten für Frauen und Männer gezogen. Die Araber protestierten, da sie fürchteten, diese Veränderung sei der erste Schritt zur Errichtung einer Synagoge – für sie undenkbar neben Felsendom und al-Aksa-Moschee, wichtigen muslimischen Heiligtümern.
1948 gaben die Briten schließlich auf, Frieden schaffen zu wollen, und gaben die Palästina-Frage an die UN ab.
Der Staat Israel wurde 1948 ausgerufen. In der gleichen Nacht der Gründung Israels rückten fünf arabische Staaten in Israel ein – Ägypten,
Syrien, Jordanien, Libanon und Irak. Sie operierten nicht gemeinsam, was der israelischen Armee zugutekam – Israel gewann den Krieg, obwohl die arabischen Staaten zahlenmäßig überlegen
waren.
Der „Palästinakrieg“ sollte jedoch nicht der einzige Krieg bleiben. Es kam zu acht arabisch-israelischen Kriegen mit den Nachbarländern und zahlreichen israelisch-palästinensischen
Konflikten.
Bekannt ist der „6-Tage-Krieg“, in dessen Folge Israel unter anderem das Westjordanland und den Gazastreifen besetzte, und der „Jom-Kippur-Krieg“, in dem Ägypten besetzte Gebiete zurück erobern
wollte und der Jahre später immerhin einen Friedensvertrag zur Folge hatte. Auch der „Gaza-Konflikt“, in dem Israel militärisch auf den anhaltenden Raketenbeschuss durch die Hamas und andere
Gruppen im Gazastreifen reagierte, wird von Israel als Krieg gesehen.
In den Neunziger Jahren wurde das Westjordanland im Rahmen von Friedensverhandlungen, den Oslo-Friedensprozessen, in drei Zonen aufgeteilt.
In Zone A haben Palästinenser volle Kontrolle über Sicherheit und Administration. In Zone B verfügen sie über administrative Kontrolle, während Israelis für die Sicherheitskontrolle zuständig sind. Zone C steht komplett unter israelischer Kontrolle.
Bethlehem und Jericho sind Zone A, trotzdem ist die Einreise dorthin unkompliziert. Der Tourismus ist ein wichtiger Faktor für das wirtschaftlich schwache Land.
Wer von Jerusalem aus nach Bethlehem einreist, wird auf geführten Touren von einem israelischen und einem palästinensischen Guide begleitet. Beide wollen unbedingt vermitteln, dass die Spannung zwischen den Ländern schlimmer dargestellt wird, als sie ist – im Angesicht der Mauer, die beide Länder trennt, sind das jedoch leere Worte.
2002 wurde mit dem Bau der Mauer begonnen, um vom Westjordanland ausgehende terroristische Anschläge zu verhindern. Seit es die Mauer gibt, hat sich die Zahl der terroristischen Anschläge extrem verringert.
Das Westjordanland steht offiziell unter der Regierung von Präsident Mahmud Abbas und seiner Palästinensergruppe Fatah.
Der Gazastreifen wird von den Hamas kontrolliert. Die radikal-islamistische Gruppe steht unter Beobachtung und wird international als Terrororganisation eingestuft. Im von Israel abgeriegelten Gazastreifen kommt es immer wieder zu Ausschreitungen, wenn Palästinenser gegen die Hamas zu revoltieren versuchen.
Die UN sieht heute einen Großteil jüdischer Siedlungen als illegal an. Israel habe Gebiete besetzt – zum Beispiel Jerusalem oder die Golanhöhlen in Syrien. Nur wenige Länder – zum Beispiel die USA – erkennen Jerusalem heute als israelische Hauptstadt an.
Ob es jemals Frieden geben wird, ist fraglich. Kaum ein Land war und ist so heftig umkämpft wie das "Heilige Land". Besonders traurig ist, wie Religon vorgeschützt wird, um Gewalt zu legitimieren. Unter dieser Scheinheiligkeit leiden vor allem die Zivilisten der Konfliktparteien, die sich zum Großteil einfach nur Frieden wünschen.
Buchempfehlung: Gil Yaron. Jerusalem. Ein historisch-politischer Stadtführer. Verlag C.H.Beck oHG. München 2007, ISBN 978 3406 649561.