Im Winter beginnt in Island die magischste Zeit. Wenn Frost und Schnee die Landschaft bedecken, wirkt das Land wie verzaubert. Aus Wasserfällen werden starre Eisschlösser, mitten am Tag erhellt die Sonne die schneebedeckten Berge und Gletscher – und ein paar Stunden später tanzen schon die ersten Nordlichter über den Himmel.
Das Pferd greift weit aus im Galopp. Aufgewirbelter Pulverschnee stiebt nach allen Seiten. Wind braust um uns herum. Er schlägt uns eiskalt entgegen und zerzaust
die rabenschwarze Mähne des Pferdes.
Heute ist mein freier Tag auf dem Reiterhof in Hafnarfjördur in der Nähe von Reykjavík, und ich verbringe ihn mit – reiten. Pferd Tóbias und ich haben uns aufgemacht, um von einem nahen Hügel den Sonnenaufgang über dem
Vulkan Helgafell zu bestaunen. Um uns herum ist die weiße Weite des schneebedeckten Lavafeldes, dazwischen ragt der alte Vulkan empor. Er gehört zu den beliebtesten Wanderrouten rund
um Reykjavík. Ich musste nicht früh aufstehen, um rechtzeitig zum Sonnenaufgang da zu sein. Im Dezember geht die Sonne kurz vor Mittag auf. Für mich ist das ein Bonuspunkt, an den ich vor der
Abreise niemals gedacht habe. Umso mehr freue ich mich nun darüber.
Als wir ankommen, werden wir für Wind und Wetter entschädigt. Die Rot-und Rosatöne der aufgehenden Sonne explodieren förmlich über dem Vulkan. Oben die rosa Wolkenschleier, unten die helle Schneedecke, dazwischen das graue Lavagestein:
Alles fügt sich perfekt in dieses Bild ein. Es scheint fast ein bisschen unwirklich, dass diese raue Lavalandschaft so weiche Farben und Formen malt.
Helgafell liegt südöstlich von der Kleinstadt Hafnarfjördur; weniger als 30 Autominuten von Reykjavík entfernt.
Tipp: Das Thermalbad in Hafnarfjördur mit seinen drei heißen Pools ist sehr schön. Wieso nicht eine Wanderung um und auf Helgefell mit einem Besuch des Bads verbinden?
Besonders an kalten Winterabenden ist es sehr wohltuend, im heißen Wasser zu sitzen und den Schneeflocken zuzuschauen, die vom nachtschwarzen Himmel tanzen. Das und die Isländer, die sich um
einen herum in ihrer wunderschönen Sprache unterhalten, sorgen für völlige Tiefenentspannung.
Nur ein paar Stunden später fahre ich mit Kolleginen vom Reiterhof kreuz und quer durch das Lavafeld. Wir sind auf der Suche nach den „Aurora borealis“, den Nordlichtern. Unsere
Nordlichter-App sagte, heute stünden die Chancen zur Sichtung gut. Und wirklich: Über den nachtschwarzen Himmel Himmel zucken grüne Blitze, flackern mal stärker, mal schwächer auf. Sie kringeln
sich genau über Helgafell, sodass es wirkt, als entsteige dort grüner vulkanischer Rauch. Der Schnee, die Sterne, die Aurora als Krönung
– es ist eine wunderschöne Nacht unter Nordlichtern. Einmal gesehen,
nie mehr vergessen.
Dem „Heiligen Berg“ werden übrigens
magische Kräfte zugesagt. Vor einem so unvergesslichen Naturschauspiel ist das nicht verwunderlich.
Nordlichter entstehen übrigens, wenn der Sonnenwind auf das Magnetfeld der Erde trifft. Die Energie, die beim Aufeinandertreffen des Windes mit den Molekülen in unserer Erdatmosphäre entsteht, nehmen wir als Nordlichter war. Der Wind wird von den Magnetfeldlinien in Richtung der Pole gelenkt. Daher sieht man sie ganz im Norden und im Süden am besten – im Süden werden sie dementsprechend „Südlicht“ genannt. Um sie gut sehen zu können, braucht es einen klaren und dunklen Himmel: das Spektakel findet oberhalb der Wolkendecke statt. Überall, wo künstliche Lichtquellen weit entfernt sind, sind sie besonders gut sichtbar. Zwischen Oktober und März stehen die Chancen besonders gut, die Nordlichter zu sehen.
An den freien Tagen gehe ich nicht nur reiten, sondern unternehme auch mit den Kolleginen vom Hof kleine Roadrips. Da die Sonne nicht nur spät auf-, sondern auch
früh wieder untergeht, müssen wir genau planen, wann wir wohin fahren, um nicht im Dunkeln zu stehen.
Im Süden Islands sehen wir mit die schönsten Wasserfälle Europas: Einer davon ist der spektakuläre Gullfoss, der im bekannten „Goldenen Kreis“ ca. 100 km von Reykjavik
entfernt auf der Road 35 liegt. Auch im Winter gehört er zu den Höhepunkten Islands. Die gewaltigen Wassermassen, die über zwei Kaskaden in die circa 70 Meter tiefe, vereiste
Schlucht stürzen, sind einfach beeindruckend.
Er ist nicht der Einzige: An der Ringstraße 1 liegt der malerische Seljalandsfoss, direkt bei der Abzweigung Richtung Þórsmörk. Im Sommer ist er dafür bekannt, dass man auch hinter ihn laufen kann – im Winter ist dies wegen der Rutschgefahr nicht zu empfehlen. So oder so ist einer von Islands höchsten Wasserfällen einen Besuch wert. Er stürzt 63 Meter in die Tiefe und gehört zu den schönsten Wasserfällen des Landes.
Auch ein Besuch des Skógafosses, der ca. 30 km weiter östlich liegt, sollte man sich im Winter nicht entgehen lassen. Eiszapfen und Schneemassen umgeben den Wasserfall und bilden so ein Schloss aus Eis und Wasser, das sich elegant in die Klippe einfügt.
Island ist ein Wanderparadies. Auch im Winter – trotzdem sollte man die
Wetterverhältnisse mit meterhohen Schneeverwehungen und reißenden Gletscherflüssen nicht unterschätzen. Wer sich unsicher fühlt, schließt sich besser einer geführten Tour an. In Islands
bekanntestem Wandergebiet Þórsmörk zum Beispiel gibt es auch im Winter geführte Wanderungen.
Meine Freundin und ich werden in einem Jeep am Seljalandsfoss Wasserfall abgeholt. Der Fahrer hat einen Heidenspaß daran, mit dem panzerartigen Allrad-Jeep durch
die Flussläufe zu brettern. Wir werden kräftig durchgeschüttelt – aber ehrlich gesagt macht es einfach Riesenspaß.
In Þórsmörk kraxeln wir hoch auf den Valahnúkur, von dem man den besten Blick auf den berühmten Eyjafjallajökull hat. Der Blick über das Gebiet mit
seinen schneebedeckten Bergen und Gletschern und den verzweigten Flussarmen ist atemberaubend.
Wieder unten angekommen, wärmen wir uns dem natürlichen Hot Pot am Fuß des Berges auf. Also: Badesachen nicht vergessen!
Am nächsten freien Tag nehmen wir uns die Gletscherlagune Jökulsarlon vor. Im Sommer ist sie überlaufen, jetzt im Winter haben wir sie ganz für uns. Der Breiðamerkurjökull kalbt
in die Lagune. Er ist eine Gletscherzunge des gewaltigen Vatnajökulls, Europas größtem Gletscher.
Der Blick auf die treibenden Eisberge mit ihren verschiedenen Blautönen ist einmalig. Diese Blautöne kommen durch die unterschiedlichen Lufteinschlüsse im Eis zustande: Kommt der Eisberg
ursprünglich aus einem unteren Teil des Gletschers, hat der hohe Druck den Großteil der Luft raus gepresst und das Eis erscheint dunkler, bläulicher. Befindet sich Luft im Eis, wirkt das Eis
heller. UV-Strahlung sorgt außerdem für Luftlöcher im Eis, sodass die Eisberge in der Lagune mit fortschreitendem Alter ihre blaue Farbe verlieren und heller werden. In vielen Eisbergen ist
außerdem Asche von Vulkanausbrüchen eingeschlossen. Diese zieht sich als gräuliche, lang verzweigte Streifen durch das Eis.
Bei meerwärts gerichteter Strömung treiben die Eisberge schließlich hinaus aufs offene Meer, werden dann aber wieder an den angrenzen Strand gespült. Wie funkelnde Diamanten ruhen sie dann auf dem schwarzen Basalt – als natürliche Eisskulpturen in unzähligen Formationen.
Weitere kunstvolle Kreationen aus Eis sind die einzigartigen Gletscherhöhlen. Anbieter wie Guide to Iceland
organisieren Touren, bei denen man an der Lagune Jökulsarlon abgeholt wird.
Die Höhlen entstehen durch sommerliches Schmelzwasser, welches das Gletschereis untertunnelt. Im Herbst friert das Wasser wieder und bildet Höhlen im Gletscher.
Je tiefer man in die Höhle vordringt, desto beeindruckender werden die eisigen Farbvariationen –
von hellklarem Aquamarin bis hin zu tiefblauem Lapislazuli. Im Inneren eines Gletschers zu stehen und diese surrealen Farben zu bewundern –
definitiv ein Highlight, das es auf Island nur im Winter zu sehen gibt.
Wer fürchtet, in Island im Winter im Dunkeln zu stehen, irrt. Natürlich ist die Zeit tagsüber knapp bemessen. Bei vier Stunden Sonnenlicht sollte man seine Route sorgfältig ausarbeiten und bei längeren Touren lieber zwischendurch eine Übernachtung mehr einplanen. Die Dunkelheit wird aber ausgeglichen: Von Sonnenaufgängen mitten am Tag, wunderschönen Nordlichtern sowie endlosen, hellen Schneelandschaften. Ein Winter-Besuch am Polarkreis lohnt sich - besonders angesichts der Tatsache, dass Eis nicht ewig ist.
Nicht verpassen – kurz zusammengefasst: