Kaum eine Stadt kann so viele Geschichten erzählen wie das französische Städtchen Metz. Von Römern und ihren Aquädukten, von schaurigen Episoden aus dem Mittelalter, von den Wirrungen des Deutsch-Französischen Krieges: Metz hat schon alles und jeden erlebt.
Das spiegelt sich in ihrer einmaligen Architektur wider: Die Stadt wirkt wie ein riesiges Freiluftmuseum am Wasser. Ein Museum, in dem an jeder Ecke belebte Plätze warten und in dem man sich
als Snack beste französische pâtisserie auf die Hand holt, bevor man sich in die nächste Epoche zurückversetzen lässt.
Seit zwei Wochen studiere ich hier und bin angenehm überrascht von der Stadt. Metz vereint internationale Kultur und Geschichte mit genussvoller französischer Lebensart. Aber nicht nur das: Sie
liegt nahe Weinbergen und Vogesen inmitten einer einmaligen Flusslandschaft.
Zischend und fauchend bläst die Pumpe den Ballon auf, bis er voll aufgerichtet ist. In dem kleinen Holzkorb darunter sitzen drei Menschen, die fröhlich winkend in die Höhe steigen – zusammen mit
den anderen Ballons und ihren Passagieren, bis der blaue Himmel über und über mit bunten Punkten gesprenkelt ist und sich im lac des cygnes, dem Schwanensee neben dem Hafen,
spiegeln.
Lothringen ist einer der Hauptexportateure weltweit von Mirabellen. Den ganzen August über finden unter dem Motto fête des mirabelles Feste statt. Nun neigt sich der Sommer
langsam dem Ende zu: Die Montgolfiade ist der Abschluss der Sommer-Feierlichkeiten. Gleichzeitig läutet sie den Herbst ein. Statt Mirabellen werden nun Trauben geerntet, die auf den vielen
Steilhängen an der Mosel gedeihen.
Metz lebt in vielerlei Hinsicht vom Wasser. Nicht nur der Obstanbau macht sie zum Schlaraffenland, auch Sport- und Naturliebhaber kommen hier dank der Mosel voll auf ihre Kosten. Ob
actionbegeisterte Jetski- und Kajakfahrer oder gemütliche Spaziergänger: Alle treffen sich an und auf dem Fluss.
Jetzt im Herbst strahlen die Kastanienbäume an der Hafenpromenade in den schönsten Farben. Vom Hafen aus sind es nur ein paar Meter bis rein in die Altstadt, immer an der Mosel entlang.
Ich habe im September mein Studium begonnen und bin nun seit zwei Wochen in Metz. Mein Master ist trinational ausgerichtet: Das erste Jahr studieren wir in Frankreich, das zweite in Luxemburg und
Deutschland. Metz ist also der erste Punkt auf dieser Reise durch die Grenzregion.
Ehrlich gesagt: Ich hatte nicht damit gerechnet, dass es im beschaulichen Metz so viel zu sehen gibt. Aber ein Spaziergang durch die Stadt kommt einer Zeitreise durch verschiedene Epochen gleich. Das Stadtbild gehört wegen seiner turbulenten Vergangenheit zu den abwechslungsreichsten in ganz Frankreich.
Hier stehen düstere Bauten aus dem Mittelalter im Kontrast zu typisch klassizistisch-französischen Gebäuden des 18. Jahrhunderts, die pure Lebensfreude repräsentieren. Die wiederum sind nicht weit von den militärischen Prachtstraßen aus der deutschen Kaiserzeit, mit denen Kaiser Wilhelm II seine Macht gegenüber den Franzosen demonstrieren wollte.
Fangen wir im Mittelalter an: Meinen ersten Berührungspunkt damit hatte ich auf der Pont des Morts, der Brücke der Toten. Ihren schaurigen Namen bekam sie, weil von hier aus kriminelle Verurteilte in die Mosel gestoßen wurden. Eine andere Theorie besagt, sie habe ihren Namen daher, weil jeder Bürger nach seinem Ableben sein bestes Kleidungsstück zur Finanzierung der Brücke geben musste.
Überall in den verwinkelten Gassen von Metz stoße ich auf solche Mittelaltergeschichten. Heute blitzen zwischen den Häusern die bunten Heißluftballons am Himmel hervor, sodass das mulmige Gefühl beim Lesen der Mittelalter-Infoschilder schnell wieder verschwindet.
Metz erzählt aber nicht nur vom Mittelalter, sondern – natürlich – auch vom alten deutsch-französischen Streit um Lothringen. Über Jahrhunderte rissen Deutschland und Frankreich an Metz herum; sage und schreibe fünfmal wechselte sie die Nationalität, bis sie in Ruhe als französisches Städtchen dastehen durfte.
Bis die Franzosen sie im 16. Jahrhundert eroberten, war Metz deutsche Reichsstadt. Nach dem Deutsch-Französischen Krieg wurde wieder sie deutsch. Besonders diese Periode bescherte Metz einige Bauwerke: Der Temple Neuf, malerisch eingebettet zwischen zwei Flussarmen der Mosel, wurde von den Deutschen demonstrativ sichtbar als protestantische Kirche ins streng katholische Elsass gestellt. Die Kirche wurde bewusst gegensätzlich zur französisch-katholischen Kathedrale St. Étienne gestaltet, die hoch über den Dächern der Stadt ragt. St. Étienne gilt als eine der schönsten gotischen Kirchen des Landes und trägt wegen ihrer Buntglasfenster, die auf 6500 m² verteilt sind, den Beinamen „Laterne Gottes“.
Der Streit um die Vorherrschaft in Europa führte dazu, dass die Deutschland und Frankreich sich auch architektonisch zu übertrumpfen versuchten. So bauten die Deutschen
unter Wilhelm II so prunkvoll wie möglich: Nahe dem „Deutschem
Tor“, einem Teil der mittelalterlichen Befestigungsanlage, entstand das Kaiserviertel. Die Prachtstraße Avenue Foch beginnt neben dem deutschen Postamt, das genau wie der Temple Neuf im
neoromanischen Stil gebaut wurde. Daneben thront über allem der Bahnhof.
Nach der Kaiserzeit und dem Ersten Weltkrieg wurde Metz wieder französisch, bis die Nazis sie einnahmen. Nach Ende des Zweiten Weltkrieges wurde sie wieder französisch.
Metz erzählt aber nicht nur historische Geschichten, sondern bietet auch moderne Architekur wie das Museum Centre Pompidou oder das Einkaufszentrum Galeries Lafayette. Beim Stadtbummel entsteht – mit einem Macaron in der Hand – immer mehr das Gefühl, Metz wäre eine kleine, vergessene Schwester von Paris, die es an Schönheit locker mit ihr aufnehmen kann.
Es ist aber nicht nur die Geschichte und die Architektur, die Metz so interessant macht, sondern auch die Natur drumherum. Um das Umland zu erkunden, bin ich in dieser ersten Woche viel mit dem
Fahrrad unterwegs. Möglich macht das die ausgebaute Véloroute Charles le Téméraire. Die Mosel abwärts Richtung Norden führt der Radweg nach Luxemburg und Deutschland, aufwärts gen Süden
Richtung Vogesen und Moselquelle.
So trete ich an den freien Tagen kräftig in die Pedale und lasse schon bald die Stadt hinter mir. Der mit Bäumen gesäumte Radweg liegt direkt am Fluss, sodass ich einen herrlichen Blick auf die
gemächlich dahinfließende Mosel habe. In ihrem Wasser spiegeln sich die bereits herbstlich gefärbten Bäume vom Wegesrand, buntes Laub bedeckt das Ufer. Hin und wieder springt ein Fisch platschend
aus dem Wasser, Libellen surren um das Schilf, das sich leise raschelnd im Wind wiegt. Alle paar Meter radele ich vorbei an Teichen, in aus denen knorrige Äste ragen und die über und über mit
Seerosen bedeckt sind. Es ist eine unfassbar schöne Flusslandschaft.
Überraschend tritt dann das gewaltige Aquädukt aus der Römerzeit ins Blickefeld, der das Örtchen Jouy-aux-Arches überragt. Früher reichte er bis in die Mosel hinein, heute hört er kurz vorm Radweg auf. Denn schon die Römer wussten die Steilhänge an der Mosel zu schätzen, an denen die Sonne den Wein küsst.
Zwischendurch begegnen mir aber auch immer wieder die ernsten Kapitel der jüngeren Geschichte. Die beiden Weltkriege trafen das Städtchen und die Umgebung besonders hart. Traurige Berühmtheit
erlangte die Stadt 80 Kilometer entfernte Stadt Verdun, bei der eine der verlustreichsten Schlachten des Ersten Weltkrieges stattfand.
Corny, direkt am Moselradweg gelegen, wiederum erzählt von amerikanischen Soldaten, die bei ihrem Versuch, die Mosel zu überqueren, auf heftigen deutschen Widerstand stießen. Ein parcours
historique, ein historischer Lehrpfad, informiert über die Schlacht und gedenkt den gefallenen Alliierten.
Und auch im nahen Fey liegt ein deutscher Soldatenfriedhof aus dem ersten Weltkrieg, der aus einer traurigen Aufreihung von nackten Holzkreuzen besteht.
Heute ist Fey aber nicht nur ein Ort, der an den Krieg erinnert – er ist vor allem Teil der route des vins, einer 46 Kilometer langen Strecke, welche die schönsten Winzerorte Lothringens verbindet. So führt meine Tour vorbei an Weinreben Mirabellenbäumen nach Arry. Der Ort ist bekannt für Wiesen, die besonders kalkhaltig sind und daher ideale Bedingungen für Obstanbau schaffen, und für einen einmalig schönen Blick über die Lothringische Hochebene.
An einem anderen Tag fahre ich vom Radweg ab Richtung Gorze, das auf einer Anhöhe im Naturpark Lothringen liegt und von wo das Wasser in das Aquädukt nach Jouy-aux-Arches geleitet wurde. Typisch
französisch gurren hier die Tauben in den verschlungenen Gässchen, die immer weiter hinaufführen, bis ich schließlich bei der Abteikirche und dem nahen Abteipalast ankomme.
Die letzten beiden Wochen waren eine Einstimmung auf das, was in den nächsten beiden Jahren kommt: Es wird lehrreich, es wird spannend, und ganz im Sinne der französischen Lebensart auch genussreich. Nach dieser ersten Zeit im kleinen Paris freue ich mich umso mehr, in beide Kulturen einzutauchen, und noch viel mehr von dem kennenzulernen, was die Grenzregion zu erzählen hat. Eines ist schonmal klar: Trotz seiner harten Vergangenheit weiß Metz heute, wie man das Leben am besten feiert, und bietet dafür Natur und Kultur nur vom Feinsten.
Allgemeine Infos
Metz liegt an der Grenze im Dreiländereck Deutschland - Frankreich - Luxemburg, circa 70 Kilometer entfernt von Saarbrücken und 250 Kilometer von Freiburg im Breisgau.
Mehr Informationen: http://www.tourisme-metz.com/de/startseite.html
Metz gilt aktuell nicht als Corona-Risikogebiet, über Änderungen informiert das Robert-Koch-Institut hier:
https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Risikogebiete_neu.html
Es gelten in Geschäften, öffentlichen Verkehrsmitteln sowie in der gesamten Altstadt die allgemeinen Abstandsregeln sowie Maskenpflicht.