Steak zum Frühstück?

Je natürlicher wir leben, desto gesünder sind wir. Oder? Und was bedeutet das in Bezug auf unsere Mahlzeiten? Ein amerikanischer Arzt plädiert gegen pflanzliche Ernährungund sähe lieber viel Fett und Fleisch auf den Tellern. Hat er am Grillanzünder geschnüffelt?

Steak und Gewürze
Rotes Fleisch – zu Unrecht zum Sündenbock gemacht? © Unsplash/Sergey Kotenev

Disclaimer: Der folgende Artikel diskutiert Thesen aus den Büchern „How not to die“ von Michael Greger und „The carnivore Code“ von Paul Saladino. Beide Mediziner berufen sich wiederum auf externe Quellen und Studien. Die Argumente sind bewusst teilweise verkürzt dargestellt: Sinn dieses Blogartikels ist primär, Interesse am Thema zu wecken. Die restlichen Thesen in diesem Blogartikel spiegeln meine persönliche Meinung wider und sind dementsprechend gekennzeichnet. Der ganze Beitrag ist selbstverständlich keine medizinische Empfehlung.

Inhalt:

1. Worin sie sich einig sind: Moderne Medizin behandelt Symptome, keine Ursachen

2. Worin sie sich uneinig einig sind – anhand Brokkoli und weiteren Beispielen

3. Meine Meinung: Was Saladino unterschlägt – und weshalb sich die Lektüre dennoch lohnt

Zwei Bücher zum Thema Ernährung
Die beiden Autoren sind offensichtlich unterschiedlicher Meinung.

Streitfrage Fleisch: ja oder nein?

Die Debatte ist heiß wie Feuer: Sollten wir Fleisch essen oder darauf verzichten? Zwei Ärzte haben Bücher geschrieben, deren Argumente sich diametral gegenüberstehen.

Das erste Buch ist „The Carnivore Code“ von Paul Saladino. Der US-Amerikaner hat einen Doktor der Medizin (MD) und ist Facharzt für Psychiatrie. Saladino plädiert für eine Ernährung, die hauptsächlich aus unverarbeiteten Tierprodukten und Früchten besteht. Auf seinem Speiseplan stehen heute viel rotes Fleisch, Organe wie Leber und Herz, Früchte und Honig.

Das zweite Buch ist „How not to die“ des ebenfalls US-amerikanischen Arztes Michael Greger (MD). Greger empfiehlt nicht ausdrücklich eine rein vegane Ernährung. Er stellt aber ein Ampelsystem vor: Nach diesem sind unverarbeitete, pflanzliche Lebensmittel ( = grün gekennzeichnet) am besten für die Gesundheit. Gelbe Lebensmittel sind mit Vorsicht zu genießen. Darunter fallen verarbeitete pflanzliche Lebensmittel und unverarbeitete, tierische Produkte. Tiefrot sind verarbeitete, tierische Lebensmittel. Er zeigt auch anhand einer Checkliste (Dr. Gregers daily dozen), was jeden Tag auf dem Speiseplan stehen sollte: darunter Beeren, Hülsenfrüchte und grünes Gemüse.

Worin sie sich einig sind: Westliche Medizin behandelt Symptome, nicht die Ursachen

So gegensätzlich diese Empfehlungen auch sind – die Motivation beider Ärzte ähnelt sich. Beide sind der Meinung, hochverarbeitete Lebensmittel und Fast Food befeuerten Entzündungsprozesse im Körper, die langfristig chronische Krankheiten verursachen können. Außerdem behandele das moderne Gesundheitssystem hauptsächlich Symptome statt Ursachen. Eine Medizin, die Diabetes mit Spritzen angeht und Bluthochdruck mit Pillen, verfehlt laut den Ärzten ihren präventiven Zweck völlig.

Worin sie sich uneinig einig sind – anhand Brokkoli und weiteren Beispielen

Der Unterschied liegt darin, wie man diese Vorbeugung erreicht. Saladino sieht tierische Produkte als Entzündungshemmer: Sie sind optimal absorbierbar und liefern Nährstoffe, mit denen der Körper ideal umgehen kann – zum Beispiel tierisches Vitamin D und A oder Aminosäureverbindungen wie Kreatin und Taurin. Greger wiederum geht davon aus, dass Obst und Gemüse sich positiv auf den Körper auswirken. Ein Zusammenspiel aus Prä- und Probiotika dieser Lebensmittel unterstütze Prozesse im Darm. Ballaststoffe regten die Verdauung an und regulierten den Blutzucker. Fettsäuren, die beim Verdauen von Ballaststoffen entstehen, schützten zum Beispiel die Arterien und das Herz. Vollkorn, Nüsse sowie Obst und Gemüse wirkten anti-entzündlich. Diese Empfehlungen werden auch in den Medien immer wieder aufgegriffen und gelten als etabliert. Außerdem schützten pflanzliche Inhaltsstoffe vor Zellschäden und freien Radikalen und beugen laut Greger bestenfalls Krebs vor. Besonders der Brokkoli habe hier wünschenswerte Effekte: „Three hours after eating 50 grams of broccoli sprouts, the enzyme that cancers use to help silence our defenses is supressed in your bloodstream to an extent equal to or greater than chemotherapy agent specifically designed for that purpose, without the toxic side effects“ (S. 15).

Grünes Gemüse
Greger empfiehlt viel grünes Gemüse, besonders Brokkoli. © Unsplash/Kelly Sikkema

Paul Saladino wiederum sieht genau diese Inhaltsstoffe kritisch. Ob seine Thesen Sinn machen, muss jeder selbst entscheiden. Sie sind auf jeden Fall interessant und widersprechen den etablierten Infos völlig. Er behauptet grob zusammengefasst, die Wissenschaft sei trotz zahlreicher Studien zu den falschen Schlüssen gekommen. Basis seiner Argumentation: Pflanzen wollten – genau wie Tiere – überleben, könnten sich aber nicht durch Kampf oder Flucht retten. Also haben sie chemische Abwehrmechanismen entwickelt, die dem Fressfeind (also auch dem Menschen) schaden sollen. Die pflanzlichen Nährstoffe in Samen, Wurzeln und Blättern seien also vielmehr pflanzliche Toxine: „Most of the compounds we think of as ,phytonutrients' are in fact ,phytoweapons', meticulously designed by plants to discourage insects, animals, and fungi from consuming them for breakfast“ (S.34). Früchte wiederum hätten einen anderen Stellenwert: Die Pflanze versucht mit ihnen, ihre Samen zu verteilen und sich fortzupflanzen. Daher locken deren leuchtende Farben Tiere auch an und seien weniger giftig.

Verführen Pflanzen mit ihren leuchtenden Früchten Tiere? © Unsplash/Nathalie Jolie
Verführen Pflanzen mit ihren leuchtenden Früchten Tiere? © Unsplash/Nathalie Jolie

Saladino sieht einen zentralen Hinweis, dass pflanzliche Antioxidantien für den Menschen nicht wirken können. Denn der menschliche und pflanzliche Stoffwechsel funktioniere genau gegensätzlich: „Plants use photosynthesis to generate energy as they inhale carbon dioxide and expire oxygen. Animals do the opposite, breathing in oxygen and producing carbon dioxide as a by-product of cellular respiration“ (S. 39). Pflanzliche Versionen von Vitaminen unterscheiden sich auch von den tierischen und müssten von uns konvertiert werden – ebenfalls ein Anzeichen, dass wir uns Hauptnahrung nicht aus Pflanzen beziehen sollten: „Similarly, the plant-based forms of many vitamins and nutrients look very differently from the corresponding animal-based forms. Beta-carotene vs. Retinol (vitamin A), alpha-linolenic acid (ALA) vs. DHA (omega-3 fatty acids), and vitamins K1 vs. K2 are all examples of this (…)“ (S. 39). Die pflanzlichen Wirkstoffe seien insgesamt weniger bioverfügbar, könnten also weniger gut verwertet und aufgenommen werden.

Walnüsse
Walnüsse liefern die pflanzliche Form von Omega 3. © Unsplash/Vivek Sharma

Sulforaphan: Freund oder Feind?

Genau die von Greger angepriesenen Kreuzblütler mit ihrem Sulforaphan findet er besonders problematisch. Er zählt das Sulforaphan zu den gefährlichen Stoffen der Pflanze, das freie Radikale im menschlichen Körper verursacht: „(…) how does sulforaphan do its dirty work? In animals, including humans, it has two main mechanisms of toxicity, a slow one and a fast one. The fast mechanism of harm is accomplished by acting as a vicious pro-oxidant, causing the formation of free radicals that damage the delicate lipids in cell membranes, proteins, and DNA. In human cell culture, sulforaphane and other related isothiocyanates have been shown to damage DNA in the process of (…) chromosomal breaks“ (S.44). Auch die Goitrogene in Kreuzblütlern seien unter Umständen gefährlich, da sie die Jodaufnahme der Schilddrüse potenziell beeinflussen.

Wird das Immunsystem aktiviert oder alarmiert?

Nach dem Verzehr solcher Toxine gingen Abwehrmarker wie der TranskriptionsfaktorNrf2in die Höhe. Dieser schützt vor oxidativem Stress und entgiftet. Somit sieht die Reaktion nach dem altbekannten „Boost des Immunsystems“ aus. So seien laut Saladino Trugschlüsse entstanden. Er denkt, eher das Gegenteil sei richtig: Das Immunsystem werde nicht gestärkt, sondern eher gestresst. Die Wirkung sei in dem Kontext nichts Positives. Der Körper versuche bloß, die Stoffe schnell abzuwehren. So reagiere unser Körper auf Sulforaphan ähnlich wie auf Tabak: „To further suggest what sort of characters sulforaphane and ithiocysanates are, let’s think about the other types oft hings that can turn the NRF2 antioxidant response cascade on. Generally speaking, any type of molecule that causes oxidative stress in our body activates this pathway so we can ramp up our defenses. This includes tobacco smoke, heavy metals like lead, mercury and arsenic, alcohol, oxidized vegetable oils, and hyperglycemia“ (S. 49). Diese Reaktion habe nichts mit Hormesis zu tun. Schon gar nicht sei es etwas, das wir pausenlos provozieren sollten: Langfristig könnten Pflanzen dem Menschen eher schaden, besonders dem im Darm angesiedelten Immunsystem. Saladino könne als Ekzemer hier aus Erfahrung sprechen. Pflanzliche Ernährung hemme keine Entzündungen, sondern befeuere sie eher. Dafür sorgten bestimmte pflanzliche Antinährstoffe wie Oxal- und Phytinsäure oder Lektine. Oxalsäure kommt zum Beispiel in Spinat und Süßkartoffeln vor, Lektine in Bohnen. Zu viel Oxalsäre steht zum Beispiel im Verdacht, Nierensteine zu verursachen, weil sie sich an Calcium bindet.
Menschen sollten lieber ihre natürliche Nahrung essen, die solche Abwehrreaktionen nicht hervorrufen. Dies sei das Beste für das Immunsystem. Selbst wenn bestimmte Stoffe aus Pflanzen Vorteile mit sich brächten,würden diese die Risiken nicht überwiegen. Manche der Benefits von Ballaststoffen seien bei entsprechender Ernährung gar nicht nötig. Wer den Konsum von Kohlenhydraten runterschraube, sei nicht zwingend auf viele blutzuckerregulierende Ballaststoffe angewiesen.

Zucker mit Himbeere
Bei einem Punkt stimmen beide überein: Zu viel raffinierter Zucker ist nicht gut. © Unsplash/Myriam Zilles

Ist ein hoher Cholesterinspiegel nicht gefährlich?

Tierisches Fett und Protein seien genau das, was der Mensch brauche – weil es optimal absorbierbar sei und alle wichtigen Nährstoffe liefere. Angst vor Cholesterin hat Saladino nicht: Die Studien, die es verantwortlich für Herzerkrankungen etc. machten, seien überwiegend an stoffwechselkranken Menschen gemacht worden. Daher seien sie nicht voll aussagekräftig.

Viele Menschen reagieren auf Insulin nicht mehr so empfindlich, wie sie sollten. Das Hormon sorgt dafür, dass der Zucker aus dem Blut in die Zellen gelangt. Die heutigen Industrienationen konsumierten aber viel zu viel Zucker. Dies sorge dafür, dass die Bauchspeicheldrüse quasi pausenlos Insulin ausschütte und eine Resistenz entstehe: „One of the biggest mistakes Western medicine makes ist to extrapolate these pathologies to the 12 percent of us who are not insulin resistant and not inflamed, warnung us that certain cardiovascular disease will swiftly follow with an elevated LDL“ (S. 192). LDL-Cholesterin sei an sich nicht problematisch, sondern vielmehr ein vitaler Wirkstoff, der unser Immunsystem schütze: „(…) there are many studies suggesting that higher levels of LDL are protective as we age, which is most likely connected with its role in immune function“ (S. 183). Im Gegensatz zu pflanzlichen Antioxidantien sei LDL für den Menschen ein „richtiges“, potentes Antioxidans. Es versuche, den Körper zu schützen. So entstünden auch hier Fehleinschätzungen, wenn man es in Gefäßen finde: „(…) LDL itself is not harmful, but in certain situations, it can be involved in the process of responding to injury and inflammation – making it look like it’s a bad actor when it’s merely present at the scene of crime“ (S. 185). Und weiter: „Although LDL is found in atherosclerotic plaques, it has not been shown to be able to initiate plaque formation on its own. Just because a fireman shows up to a house on fire – or a policeman arrives at the scene of a crime – does not mean that they caused the mayhem“ (S. 192). Vereinfacht ausgedrückt lagere sich das LDL in bereits angegriffenen Gefäßwänden ab, sei aber nicht der eigentliche Schuldige. Saladino betont, dass Cholesterin zu oft ausschließlich verteufelt würde, obwohl es viele wertvolle Aufgaben im Körper habe. Es ist zum Beispiel die Vorstufe aller Sexualhormone und Vitamin D, hilft, Zellen zu bilden und unterstützt bei der Verdauung. Dies werde in den Medien oft kaum thematisiert. Tatsächlich werden derzeit einige Studien zu Cholesterin und gesättigten Fetten neu bewertet. Die USA haben kürzlich ihre Empfehlungen zu Ernährung aktualisiert und Eier zur Liste gesunder Lebensmittel hinzugefügt.

Beeren
© Unsplash/Irina Reichert

Meine Meinung: Was Saladino unterschlägt – und weshalb sich die Lektüre dennoch lohnt

Saladino mag in einem Punkt Recht haben: Hochwertiges Fleisch enthält wichtige Vitamine und Nährstoffe, die abgewandelt in Obst und Gemüse vorkommen oder ganz fehlen (darunter Kreatin, Carnitin, Cholin sowie Vitamine wie A, B12, und K2). Dass pflanzliche Antinährstoffe existieren, steht außer Frage. Diese sind aber auch noch Gegenstand der Forschung. Sicher ist: Viele dieser potenziellen Toxine werden beim Kochen und Verarbeiten reduziert. Darauf geht er kaum ein… Dafür widmet er ein ganzes Kapitel der möglichst schonenden Zubereitung von Fleisch, da beim „falschen“ Kochen potenziell krebserregende Stoffe freigesetzt werden können.

Korrelation ist nicht gleich Kausalität

Aber, erstes Fazit: Es ist spannend, mal eine gegensätzliche Meinung zu den allgemeinen Empfehlungen zu hören. Es macht wenig Sinn, immer in einem „Spiegelkabinett“ voller gleicher Meinungen zu sein. Und: Allein für die kritische Analyse der Wissenschaft lohnt es sich, Saladinos Buch zu lesen. Danach versteht man, warum Studie nicht gleich Studie ist – und dass Ergebnisse viel damit zu tun haben, wer sie finanziert hat. Auch bestimmte Empfehlungen im Gesundheitswesen darf man ruhig kritisch betrachten, da die Lebensmittelindustrie hier oft mitmischt (s. S. 274). Er verdeutlicht, dass auch die Wissenschaft nicht unfehlbar ist und nichts als die absolute Wahrheit gesehen werden sollte. So steht eine amerikanische Lebensmittelpyramide zum Beispiel in der Kritik, weil sie mutmaßlich von Politik und Wirtschaft beeinflusst war.
Saladino meint: Epidemiologische Studien (Studien, die Menschen über einen Zeitraum beobachten) haben zu oft und zu schnell Fleisch zum Sündenbock gemacht. Tatsächlich waren andere, kaum beachtete Faktoren in Ernährung und lifestyle Schuld an Krankheiten waren. Er erklärt anschaulich, wie anfällig solche Studien für falsche Schlüsse sein können. Ein überspitztes Beispiel (s. S. 54): Zwischen 2000 und 2009 sank die Scheidungsrate im Staat Maine, proportional dazu fiel auch der Margarinekonsum ab. Heißt das nun, dass eins mit dem anderen kausal zusammenhängt? Solche „trügerischen Zusammenhänge“ ließen sich auch auf andere Studien übertragen. Saladino sagt: Die Menschen, die trotz der allgemeinen Empfehlungen weiter Fleisch gegessen haben – obwohl es als ungesund galt –, seien die „Rebellen“ – und sie hätten höchstwahrscheinlich auch andere ungesunde Dinge gemacht (s. S. 63). Er sieht die Ursache für verstopfte Arterien nicht im Fett, sondern in einer Kombination aus Fett und Zucker: Das seiner Meinung nach schützende Cholesterin lagere sich – vereinfacht ausgedrückt – nur ab, weil die Gefäßwände vom Zucker beschädigt, sozusagen verklebt sind. Die Studien seien mit Menschen gemacht worden, die bereits insulinresistent seien. Dies beträfe allein in den USA 88 Prozent der Bevölkerung.

Mandeln
© Unsplash/Dhanya Purohit

Jeder Mensch muss für sich entscheiden

Nur: Greger betont ebenfalls immer und immer wieder, dass viele seiner Erkenntnisse aus Metaanalysen und Interventionsstudien kommen. Und dass die Ergebnisse daraus standhalten, wenn Faktoren wie lifestyle etc. berücksichtigt wurden. Was nun „besser“ ist, kann man nicht sagen. Jeder muss hier seine eigene Recherche machen und selbst entscheiden, welche Argumentation überzeugt. Bei Saladino ist eins noch wichtig: Selbst, wenn die von ihm kritisierten Studien mit einem anderen Zuckerkonsum anders aussehen könnten – dass der Großteil der Gesellschaft zu süß isst, ist trotzdem Fakt. Seine Empfehlungen dürften also nur für gesunde Menschen gelten, die schon wenig Zucker konsumieren und nicht insulinresistent sind.

Ich würde beide Lektüren also ganz klar empfehlen – auch „How not to die“. Aber: Spaß machte trotzdem nicht, das zu lesen. Der erste und größere Teil erklärt, wie man Krankheiten mit hoher Sterblichkeitsrate vermeidet – und das exemplarisch. Das macht sicher Sinn. Mir war trotzdem etwas unbehaglich zumute, nachdem ich wusste, wie ich wahrscheinlich nicht an einem Schlaganfall, Herzinfarkt, Brustkrebs, Diabetes, Depressionen, Parkinson, Blutkrebs oder Nierenschäden und mehr sterbe. Viele Kapitel beginnen mit der tragischen Geschichte eines Patienten, dem man leider nicht mehr helfen konnte. Das ist sicher traurige Realität, hinterlässt aber eher einen pessimistischen Eindruck. Ich war nach dem Lesen zudem umfassend darüber informiert, dass durchweg alles, was wir konsumieren, entweder von Pestiziden, Antibiotika oder Schadstoffen belastet ist.

Der Steinzeitmensch wollte aus der Höhle raus

Saladinos Buch hingegen ist oft verspielt und sehr bildhaft geschrieben. Der Spaß-Faktor geht ganz klar an ihn. Wer gern fröhliche Texte liest, ist mit seinem Buch gut aufgehoben. Dafür ist es meiner Meinung nach zu unvollständig, gibt teilweise unrealistische Tipps und lässt vieles außer acht. Und: Das Buch suggeriert, dass etwas automatisch gesund sei, weil unsere Vorfahren so gelebt haben. Das ist nicht ganz stichhaltig. Unsere Vorfahren sollten nicht zwingend als Maßstab für ein gesundes Leben gesehen werden. Der Steinzeitmensch wollte schließlich irgendwann aus der Höhle raus – und das sicher aus guten Gründen…

Dogmatische Ansätze helfen niemandem

Die Lebensmittel in ihrer natürlichen Form sind meiner Meinung nach nicht das Problem, sondern die industrielle Ernährung, die Greger „meat-sweet“ nennt: Wir konsumieren zu viel von allem – zu viel Zucker, zu viel Fett. Vielleicht hat Saladino Recht damit, dass die Kombination aus beidem der wahre Feind ist. Heißt das nun aber, wir sind sicher, solange wir hauptsächlich Fleisch essen? Ob es realistisch ist, dass der Durchschnittsbürger sein Geld in Fleisch von antibiotikafreien Weideinder investiert, ist in den aktuellen Zeiten fraglich.

Saladino mag Recht damit haben, dass pflanzliche Toxine das Immunsystem unter Umständen reizen können. Seine Empfehlung könnte Menschen helfen, welche unter Auto-Immun-Krankheiten leiden. Lange litt er selbst unter einem Ekzem, das durch die Eliminierung von Lebensmitteln besser wurde – was gängige Praxis in der Medizin ist. Er ist außerdem nicht dogmatisch mit seinen Aussagen: Auf sozialen Medien betont er immer wieder, dass jeder sich so ernähren solle, wie es ihm guttut – auch mit Gemüse.

Greger liefert in seinem Buch zahlreiche wissenschaftliche Belege dafür, wie Obst und Gemüse gegen oxidativen Stress und Krebs kämpfen. Es macht dennoch Sinn, bestimmtes Gemüse nicht in unendlich hohen Mengen zu essen – wie eben den Spinat oder den Rhabarber wegen der Oxalsäure. Das ist etwas, das Greger meiner Meinung nach mehr hätte betonen können.

Eine bahnbrechende Erkenntnis

Mein zweites Fazit lässt sich in einer bahnbrechend neuen Erkenntnis zusammenfassen: Die Dosis macht das Gift. Sonnenlicht ist unverzichtbar für uns – zu viel davon kann trotzdem gefährlich sein. Spinat mag uns Folsäure liefern – zu viel Oxalsäure ist trotzdem nicht gut. Lachs ist voller wertvoller Fettsäuren – gleichzeitig kann Fisch von Umweltgiften belastet sein. Das Schwierige ist, dass beide Ärzte hervorragende Argumente und zig Studien darlegen, die jeweils ihre Sicht stützen. Als Laie verliert man sich hier schnell im wissenschaftlichen Dschungel. Aktuell steht in den Medien eher die pflanzliche Ernährung im Fokus. Selten liest man von Ärzten und Wissenschaftlern, die eine ketogene Ernährung mit viel Fleisch empfehlen – obwohl es zahlreiche gibt, die sie aus ganz unterschiedlichen Gründen empfehlen. Studien berichten z.B. unter anderem, wie die psychische Gesundheit der Patienten sich verbesserte.

Wer gesund ist, sollte auch gesunde Tiere aus Weidehaltung konsumieren „dürfen“. Dass Wiederkäuer aus Weidehaltung das Klima killen, steht mittlerweile auch in der Kritik. Aber das ist ein Thema für einen anderen Tag. Ebenso wie die ganze ethische Komponente beim Fleischkonsum, mit der man ebenfalls ein ganzes Buch füllen könnte.

Quellen

Primärliteratur

Greger, Michael (MD)/Stone, Gene: How not to die. Discover the foods scientifically proven to prevent and reverse disease. London: Pan Books, 2018.

Saladino, Paul (MD): The carnivore code. Unlocking the secrets to optimal health by returning to our ancestral diet. New York/Boston: Houghton Mifflin Harcourt, 2020.


Auch spannend

Idel, Anita: Die Kuh ist kein Klima-Killer. Marburg: Metropolis, 2024, siehe dazu auch diesen Artikel
Ede, Georgia: Change your diet, change your mind. New York/Boston: Balance 2024

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